Komm her, geh weg.

Komm her, geh weg.

Lesezeit ca.: 6 Minuten

Zugehörigkeit und Abgrenzung
Nähe und Distanz
Intimität und Autonomie
Verbundenheit und Authentizität
Grenzen und Grenzüberschreitung

Das sind die Pole, zwischen denen wir uns unser ganzes Leben hin und her bewegen. Dies nimmt seinen Anfang in der Zeugung. Wir sind verbunden mit der Mutter, mit dem Universum, alles ist eins. Der nonduale Urzustand.

Das Spiel beginnt – Zugehörigkeit und Abgrenzung

Mit ca. anderthalb Jahren stellen wir fest, dass wir ein Individuum, ein Selbst sind. Ein Einzelnes, ein Getrenntes. Wir fangen an, uns abzugrenzen. Etwas später, etwa mit vier Jahren, entdecken wir unsere Autonomie. Die wir gezielt einfordern, mit dem wunderschönen Wörtchen: Nein.

In Kindergarten und Schule steigen wir in das ganze Spiel mit Zugehörigkeit und Abgrenzung ein. Etwa mit 10 Jahren finden wir heraus, dass dort drüben die Mädchen sind (und alles, was mit denen zu tun hat, eklig ist) und wir die Jungs sind. Die ersten Gruppen entstehen. Die Coolen und die Loser. Unsere Identität besteht in der Gruppenidentität. Wir gehen in der Gang auf, wir gehören dazu. Die Gruppe ist alles, allein sind wir nichts. Doch heimlich, zu Hause, wenn wir für uns sind, im Verborgenen, entwickeln wir unser ganz eigenes Ichsein.

Verbunden und trotzdem individuell

Kurze Zeit später werden die Mädchen für die Jungs wieder faszinierend und umgekehrt. Wenn es gut läuft, gehen wir daran, uns zu behaupten, unsere Individualität in der Gruppe, gegenüber unseren „Brüdern“ oder „Schwestern“, zu zeigen.

Wir entdecken die Dualität und die damit einhergehende Ambivalenz. Wir wollen das eine – Zugehörigkeit – und gleichzeitig nicht auf das andere – Autonomie – verzichten. Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt. Es zerreißt uns fast, da wir nicht wissen, wofür wir uns entscheiden sollen bzw. wo wir in dem Moment stehen.

Erst langsam lernen wir (hoffentlich), dass wir beides sein können, zugleich. Sowohl als auch. Ein schönes Bild, um dies anschaulich zu machen, ist für mich das philosophische Konzept von Yin und Yang.

Yin und Yang

Das Prinzip von Yin und Yang ist, dass alles als untrennbare und widersprüchliche Gegensätze existiert. Gleichzeitig. Die Auflösung des Dualismus unter der Beibehaltung der Dualität. Es ist das Ende der Konkurrenz. Im Dazwischen, im beständigen Hin und Her pendeln, im Auf und Ab entsteht das Leben. Entscheiden wir uns für eine Seite, beginnen wir zu sterben. Komplementär statt konträr. Das Androgyne, die Auflösung der klassischen Geschlechter- und Rollenklischees. Leben und genießen im Spannungsfeld des permanenten Dazwischen.

In einer Gesellschaft, die sehr viel Wert auf richtig und falsch, auf Regeln und Moral legt, in der alles bewertet, benotet, beurteilt, kategorisiert und zugeordnet wird, ist es ein langer Weg, sich darauf einzulassen.

„Platon schrieb der Auflösung der Dualität eine außerordentliche Kraft zu. So stellten dem Mythos nach diese Wesen sich den Göttern entgegen, da sie sich Ihrer Kraft bewusst waren. Um sie zu schwächen, wurden sie in zwei geteilt.“

https://ninahrkalovic.com/die-kraft-des-dazwischen-oder-die-magie-reiner-liebe/

Zurück zur Alleinheit

Wenn wir es schaffen in der Nondualität, der Auflösung der Polarität, in der Ganzheit anzukommen, erreichen wir Vollkommenheit. Die Dinge ergänzen sich und gleichen sich aus. Harmonie, absoluter Frieden, reine Liebe. Verschmelzung, Alleinheit, die Unio Mystica, die göttliche Hochzeit. Den oder das Andere erkennen und dabei zugleich mich selbst finden.

„Wer sich selbst sucht, findet Gott. Wer Gott sucht, findet sich selbst.“

Augustinus

Der Kreis schließt sich. Zurückfinden zum nondualen Urzustand. Doch jetzt im vollen Bewusstsein und der Anerkenntnis und Vereinigung aller Gegensätze. In mir ist Licht und Schatten, Jesus und Hitler, Mutter Teresa und Jack the Ripper.

„Wir finden außerhalb von uns nur das, was wir bereits innerlich verwirklicht haben.“

Nina Hrkalovic

Sobald wir uns diesem Stadium nähern, tauchen Ängste auf. Die Obergrenze, die gläserne Decke. Wir haben den Impuls zu fliehen oder all das Schöne und Wundervolle durch irgendwelche völlig sinnfreien Aktionen zu zerstören.

Unsere Quest* – alles fühlen

Unsere Aufgabe an dieser Stelle: Innehalten. Verdrängung beenden. Aushalten, diesen unbeschreiblichen inneren Frieden, diese wahrhaftige Liebe. Fühlen. Alles fühlen, die Freude und den Schmerz, das Licht und die eisige Kälte. Alle Ängste und vermeintlichen Blockaden (Phänomene) anschauen. Dies ist der Weg zur Heilung, zum authentischen Selbst. Weg von der kindlichen Symbiose, den anderen für unsere Vervollkommnung zu brauchen, hin zur Selbstliebe. Und uns selbst all das geben, was wir bisher im Außen und von Anderen gesucht haben. Authentizität. Alles loslassen, was nicht zu uns gehört. Selbstverkörperung.

Quest: Das Wort Quest (deutsch „Suche, Suchmission“, lateinischen quaestio „Forschung, Frage“ bzw. quaerere „fragen, suchen“) bezeichnet ursprünglich die Heldenreise eines Ritters oder Helden, in deren Verlauf er verschiedene Aufgaben löst, Abenteuer besteht, Feinde besiegt, Objekte findet, Schwierigkeiten überwindet und dadurch Ruhm und Erfahrung erntet oder sein angestrebtes Ziel erreicht (zum Beispiel den heiligen Gral). Sinn der Quest ist im Allgemeinen die Erfüllung ehrenvoller Pflichten, aber auch die innere Reifung und Reinigung eines Helden. https://de.wikipedia.org/wiki/Quest
Küssendes Pärchen vor Wolken
Komm her, geh weg. Die Spannung zwischen den Geschlechtern.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Das Ich im Anderen

Der Andere wird zu unserem Spiegel. Da, wo uns etwas an jemandem stört, liegt ein Geschenk verborgen. Die Aufgabe ist, genau hinzusehen, welche Anteile wir in uns unterdrücken, abspalten oder verstecken. Ursache für viele psychische Krankheiten.

„Es zeigt uns, welchen Mangel wir noch in uns tragen, wo unsere Polaritäten noch nicht vereint sind.“

Nina Hrkalovic

Ebenso besondere Bewunderung oder Liebe, weist auf nicht ausgelebte Anteile in unserem Inneren hin, welche wir im Außen suchen. Die Vorstellung, wir hätten einen Mangel, ist eine Illusion. Alles, was wir bei Anderen suchen, sollen und können wir uns selbst geben. Das Ende dieser Abhängigkeiten befreit uns zu wahrer Gemeinschaft, echter Intimität, ehrlicher Liebe. Beides sind Formen der Projektionen, die Verdammung und die Anbetung.

Projektion ist ein psychologischer Abwehrmechanismus, bei dem eine Person unerwünschte Eigenschaften oder Emotionen auf andere überträgt. Diese unbewussten Vorgänge dienen dazu, unangenehme Aspekte des Selbst zu vermeiden oder zu negieren. Sie führen dazu, dass eine Person anderen Personen oder Situationen bestimmte Eigenschaften zuschreibt, die genau genommen ihre eigenen sind.

Leitbildspiegelung

Eine „geheilte“ Version der Projektion ist die „Leitbildspiegelung“. Diese beschreibt einen Prozess, bei dem du in einer anderen Person positive Eigenschaften und Ideale sieht, welche du liebst, bewunderst oder anstrebst. Im Gegensatz zur Projektion zielt die Leitbildspiegelung nicht darauf ab, den anderen zu verändern oder unerwünschte Aspekte auf ihn zu übertragen. Stattdessen dient sie dir als Quelle der Inspiration und als Orientierung für deine persönliche Entwicklung und Wachstum.

Die Leitbildspiegelung ist ein psychologisches Konzept, das von Peter Schellenbaum entwickelt wurde. Bücher, in denen er darüber schreibt: „Das Nein in der Liebe: Abgrenzung und Hingabe – in der erotischen Beziehung“ und „Wir sehen uns im Andern: Identifikation - Projektion - Leitbildspiegelung“.

Unser Ego – die Mustermaschine

Wenn wir uns dieser Aufgabe nicht stellen möchten, greifen wir auf Altbekanntes zurück. Wir fallen in Muster, welche lange Zeit gut und hilfreich waren, um zu überleben. Muster schenkten uns Sicherheit.

Die Dramaqueen, das Opfer, der Macho, die Hilfsbereite, der Dauermüde, der Kasper, die Klugscheißerin (Hermine Granger), die Macherin, der Spiri,… das Ego, oder wie es Eckhart Tolle nennt: den Schmerzkörper oder Pain-body.

Dazwischen. Reine Liebe – der Tod des Egos.

Nina Hrkalovic

Liebe was ist

Es ist wichtig, diese Muster und Mechanismen dankbar zu ehren, anzuerkennen und liebevoll gehen zu lassen. Der nächste Schritt ist, uns von der Illusion der Kontrolle zu befreien. Befreiung von der Dualität. Auflösung der Polaritäten. Ein friedliches Hineinsinkenlassen, in das, was gerade jetzt ist. Ein Vertrauen ins Leben, in Gott, ins Universum. Das Prinzip Wu Wei des Taoismus beschreibt diesen Weg. Ein Ende des (dagegen) Kämpfen, des Verleugnens, des Festhaltens. Dies sind nach der buddhistischen Lehre die Ursachen für unser Leiden.

Eine Hingabe an das Leben, an das, was in diesem Moment geschieht. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Kein Bedauern, keine Schuldgefühle, keine Sehnsucht, keine Hoffnung, keine Ängste. Ewiges jetzt. Ich bin davon überzeugt, dass dies das ewige Leben meint, von dem Jesus spricht. Ankommen. Eins sein mit dem Göttlichen in uns, leben aus dem Herzen.

Beitragsbild: von bess.hamiti@gmail.com auf Pixabay

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