Zuletzt aktualisiert vor 8 Monaten von Henryk
Ich stehe gegen halb sieben auf
Ich mache mir meinen Morgenkaffee
Auf dem Sofa sitzend gehe ich in meine Morgenandacht
Wie geht es mir?
Was fühle ich?
Was spüre ich?
Was denke ich?
Die Sonne scheint durchs Fenster
Draußen genieße ich die Stille des Morgens
Kein Rasenmäher, keine Kettensäge, keine Autos und keine knatternde Mopeds
Die Vögel singen
Ab und zu kräht ein Hahn
Selbst die Schafe schlafen noch
Ich ziehe das T-Shirt, die Schuhe und die Socken aus
Ich gehe barfuß durchs Gras
Der Tau benetzt meine Füße
Ich fühle mich verbunden mit dieser Erde
Ich schnappe mir die Sense und mähe ein paar Schwaden Gras
Immer wieder halte ich inne
Stütze mich auf die Sense
Schaue mich um
Ich füttere die Schafe (des Nachbarn)
Ich denke, warum brauchen die Menschen wilde Partys und tolle Konzerte?
Vielleicht, weil sie heute nicht mehr mit sich selbst und mit der Schönheit der Natur verbunden sind und den Moment genießen?
Ich bin am Garten
Die Wasserperlen an den langen Grashalm glitzern wie tausend kleine Diamanten
Ich bin überwältigt
Welch ein Reichtum
Welche eine unbeschreibliche Schönheit
Welch eine Stille und ein Frieden
Spüre die Hitze des beginnenden Tages auf meiner Haut.
Vor meiner Haustür blüht einer Mohnblume
Es ist 10 Uhr. Die Kirchenglocken läuten (angeblich das drittschönste Geläut in Sachsen, wer hat das wohl herausgefunden?)
Ich bin stolz auf unsere Glocken
Die rufen mich zum Innehalten, zur Besinnung, einem kurzen Stopp im Alltagsbetrieb
Der alte Nachbar knattert mit seiner roten Schwalbe (ohne Helm) vorbei. So kenne ich ihn seit vielleicht 40 Jahren
Mit meinem zweiten (koffeinfreien) Hafermilch-Latte setze ich mich wieder auf meiner Gartenbank vorm Haus
Ich lausche den Glocken und dem Ziwit eines Vogels
Im Haus klappern die Türen
Ich höre, wie im Keller die Wasserpumpe anspringt
Die Kinder stehen auf
Das Dorf erwacht
Auf der fernen Hauptstraße höre ich das eine oder andere Auto leise vorbeirauschen
Die Glocken verklingen. Da der letzte Schlag der großen Glocke
Ein paar Leute werden in Kirche beim Gottesdienst sitzen
Mein Gottesdienst ist gerade vorbei, denke ich
Dann fällt mir ein, mein ganzes Leben soll ein Gottesdienst sein, eine Hingabe an den Moment, an die Schönheit und den Schmerz des Seins und des Vergehens
Die Mohnblüte hat ihre Blätter verloren
Nur noch ein Stängel mit einer Samenkapsel
Ich war der Letzte, der sie so schön sah
Eines Tages werde ich sterben
Wer wird dann auf “meiner” Bank sitzen und seinen Morgenkaffee trinken?
Eines Tages, doch nicht heute. Jetzt ist mein Moment. Jetzt ist meine Ewigkeit.
Ich danke dir
Amen