Zuletzt aktualisiert vor 3 Jahren von Henryk
Überall in unserem Leben gibt es Kämpfe. In der Partnerschaft, im Job, im Aldi um die besten Angebote. Und da draußen, in der großen weiten Welt. Meist existiert in unserer Vorstellung ein Guter (wir selbst) und ein Böser bzw. Schuldiger (der Andere). Manchem reicht es nicht, nur besser zu sein als dieser oder ihn zu besiegen, sondern wir wollen ihn leiden lassen, wollen ihn bestrafen oder wenn wir gekränkt oder erniedrigt wurden, wollen wir ihn oder sie vernichten. Bei Frieden denke viele an die großen Kriege und Kämpfe dieser Welt, nicht jedoch an das persönliche Umfeld, den Job, das Zuhause.
Vielleicht hat dir die Kollegin durch hinterhältige und unlautere Methoden die bessere Stelle weggeschnappt oder die Beförderung. Oder der Partner hat dein Vertrauen missbraucht, dich hintergangen und du fühlst dich verletzt. Oder im Aldi hat man dir die letzte Flasche Rapsöl weggeschnappt oder die letzte Packung Klopapier. Wütend stehst du am Regal.
Inhaltsverzeichnis
Wir sind die Opfer (?)
Wir fühlen uns im Recht, wir sind ja die Guten, Angegriffenen, die Opfer der Gewalt, der Hinterhältigkeit des anderen. Wir sind im Recht, ihn zu besiegen und zu bestrafen. Die einzige Schwierigkeit, ein Sieg schenkt keinen wirklichen Frieden. Er zementiert die Gräben nur umso deutlicher. Ein Sieg bringt keine Versöhnung. Er hinterlässt Wut, Zorn, Ohnmacht. Aufseiten des Besiegten, unabhängig davon, ob er den Konflikt begonnen hatte oder der Angegriffene war.
Es mag unserem Gerechtigkeitsempfinden, unserem Ego widerstreben, jedoch die einzige Lösung, der alleinige Weg zu wahrem Frieden ist: Gnade und Vergebung. Mag sein, dass du das nicht hören willst oder für absoluten Schwachsinn hältst. Es geht nicht darum, das Geschehene schönzureden, zu verharmlosen. Das ist kein heidschi bumbeidschi, alles ist wieder gut und man fällt sich um den Hals und ist bester Freund. Benenne die Dinge für dich selbst ganz klar und bringe Ordung hinein, auch wenn der Andere nicht mitmacht.
Vergebung
Hat mit dir zu tun. Unvergebenheit hält den anderen fest, Vergebung lässt ihn los und macht frei. Dich. Es kann sein, dass dies der Beginn eines schmerzhaften Prozesses ist, sich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen. Unser Recht-haben-wollen um jeden Preis, unser besser sein, unsere Vorstellung ein ethisch und moralisch besserer Mensch zu sein, loszulassen. Unseren Opferstatus zu verlassen. Dafür gibt es bemerkenswerte Vorbilder: Gandhi, Martin Luther King oder Jesus. Der hat gesagt:
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“
Die Bibel – Bergpredigt Matt 5,44 ff
Dieser Vers steht im Zusammenhang einer der größeren Reden, die Jesus an seine Jüngerinnen und Jünger und an das ganze Volk richtet. Er ist dann zu einer Art Markenzeichen des Christentums geworden: Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern ihm Gutes entgegenzusetzen. Der Satz rechnet damit, dass das Gute Macht hat (mehr als „das Böse“). Es geht nicht darum, sich erniedrigen zu lassen und Unrecht passiv hinzunehmen, sondern mit Gutem aktiv den ‚Teufelskreis‘ von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen.*
Ankommen bei dir
Wenn Christen, wenn wir das glauben, dann gilt das ebenso für den Krieg in der Ukraine. Und für Mister Putin. Es geht nicht um „den Bösewicht“, sondern um dich. Und mich. Unsere Einstellung. Sitzen wir in unserem Zimmer voller Hass, Wut und Ohnmacht? Oder kommen wir bei uns selbst an? Sind wir bereit, all die Angst zuzulassen? Alles zu fühlen? Sind wir sauer auf Putin und den Krieg, weil er uns daran erinnert, dass wir sterben werden? Dass wir nur dieses eine, kostbare Leben haben? Sind wir bereit, anzunehmen, was gerade ist? Anzuerkennen, dass wir die Lösung nicht wissen? Das meint nicht, untätig die Hände in den Schoss legen. Sondern, so wie es jetzt viele Menschen tun: helfen, wo und wie ich in der Lage bin.
Frieden für Putin?
Auf meiner Webseite über Selbstverteidigung hab ich den folgenden Artikel* geschrieben. Und ich denke, das lässt sich so eins zu eins ins Große übertragen. Auch wenn uns das nicht gefällt. Auch wenn wir es Putin nicht gönnen wollen, sich unbesiegt aus der Affäre zu ziehen. Wenn wir ihn in unseren Gedanken, unserem Wunsch nach Rache und Vergeltung am liebsten die schlimmstmögliche Bestrafung zukommen lassen möchten. Dann sind wir nicht besser. Die Zeit, das Karma, die göttliche – nicht die menschliche – Gerechtigkeit werden sich um ihn kümmern. Nicht sofort und ganz sicher nicht so, wie wir es uns wünschen (z.B. „Soll er doch Krebs bekommen und ganz jämmerlich zugrunde gehen“).
Warum Gnade?
Egal ob ein Kampf stattfand oder der Schwächere kapituliert hat, die machtbezogene Überlegenheit des Siegers bleibt immer erhalten!
Ein besiegter Gegner sucht meist Revanche. Ein „Sieg“ beendet den Kampf also nicht wirklich. Deshalb löst „Gnade“ die Dualität von Sieg und Niederlage auf. Beim Angreifer die Erkenntnis, über die Nutzlosigkeit seines gewaltsamen Tuns zu erreichen, den Schritt zu der einzigen erstrebenswerten Lösung: die sofortige Beendigung der Auseinandersetzung und die Befriedung des Konflikts. Zudem bekommt er die Möglichkeit, die eigene Unversehrtheit als Geschenk zu erkennen und dankbar zu werden.
Die Würde des Angreifers bewahren
Unter anderem geht Aikido – der „Weg zur Harmonie der Kräfte“ – diesen Weg. Ziel ist es, den Angreifer meist durch Hebel, Achsen & Kinetik in eine Position zu bringen, bei welcher er sich selbst Schmerzen bzw. Schaden zufügt, wenn er weiterkämpft. Der Kampf geschieht, ohne vordergründiges Interesse zu verletzen oder zu schädigen. Dazu die eigene innere friedliche Grundhaltung, selbst während der Auseinandersetzung, wirken deeskalierend. Den Angreifer ohne Gesichtsverlust & ohne besiegt worden zu sein, durch seine freiwillige Aufgabe, aus der Situation zu entlassen – bringt Frieden.
Es erfolgt die Auflösung der „Verlierer-Rolle“ durch Gnade im Zweikampf und Gewährung von körperlicher Unversehrtheit und persönlicher Integrität. Der Angreifer darf ohne Selbstaufgabe aus der Situation „aussteigen“ und seine Würde behalten.
Schon Sunzi beschreibt die Aussicht auf einen möglichst sicheren Rückzug als wichtiges taktisches Manöver:
Lasse ein Schlupfloch frei, wenn du eine Armee umzingelst … um ihn [den Feind] daran zu hindern, mit dem Mut der Verzweiflung zu kämpfen. Denn du darfst einen verzweifelten Gegner nicht zu hart bedrängen.
Sunzi / Sun Tzu – Die Kunst des Krieges – Kapitel: Manöver (ca. 500 v. Chr.)
Zum Thema Kränkung, Wertschätzung und Würde wird es in Kürze einen eigenen Post geben, da der entsprechende Text schon recht lang geworden ist. Den Link findest du dann hier.
Eine Bitte
Auch wenn du das anders siehst, bitte ich dich heute um ein Gebet, ein Zeichen, um einen Akt des Friedens, der Versöhnung. Mit dir, mit einem Mitmenschen, der Natur, mit deinem Leben – so wie es jetzt gerade ist – und gegebenenfalls, mit Gott.
Ich danke dir und wünsche dir von Herzen Frieden.
Henryk
Du bist – wir alle sind – wichtig für den Frieden in der Welt! Wenn wir lernen, unsere eigenen Kriegsschauplätze zu befrieden und Vergebung zu üben, können wir unseren Opferstatus verlassen! Welch eine Befreiung.