Wir haben eine Zeit der Skandalisierungs- und Beschämungssucht. Unsere Sprache wird radikalisiert bzw. verroht. Kränkung ist mangelnde Wertschätzung und eine der häufigsten Ursachen für psychische Belastung unserer gesamten Gesellschaft. Wenn unsere Gesellschaft schamlos wird, verliert der Mensch seinen letzten intimen Rückzucksort, denn Scham ist im Prinzip ein Schutzfaktor. Wir erleben die Krise der Wertschätzung. Sie ist gleichzeitig auch eine Krise der Ehre. Nur ein Beispiel: Wie ist unser Umgang mit den alten Menschen?
Eine Zusammenfassung des Vortrages von Prof. Dr. Reinhard Haller: Das Wunder der Wertschätzung
Inhaltsverzeichnis
Kränkungen – Versuch einer Definition
Kränkungen sind eine anhaltende Erschütterungen des Selbst. Des Ich und seiner Werte. Kränkungen sind keine Gefühle sondern eine soziale Interaktion. Man kann nicht nicht gekränkt sein und man kann nicht nicht kränken. (nach Watzlawick)
Wertschätzung – der Schatz deines eigenen Wertes
Es geht um einen hohen Wert, der, wenn er richtig eingeordnet wird, einen Schatz hervorbringt. Es ist die positive Bewertung eines anderen Menschen. Jeder Mensch bedarf eines gewissen Maßes an Wertschätzung. Es ist vermutlich die wichtigste Positiv-Resonanz. Sie setzt emotionale Kompetenz voraus, Empathiefähigkeit. Sie achtet die Würde. Wertschätzung erfordert Selbstwert und stärkt den Selbstwert. Wertschätzen kann nur wer nicht unter Selbstwertzweifeln oder Narzissmus leidet, in dieser braucht alle Wertschätzung für sich selbst. Es ist ein Gesetz, dass Wertschätzung zurückkommt, und den persönlichen Selbstwert steigert. Die Wertschätzung hat in unserer momentanen Gesellschaft eine Krise, da wir jetzt durch die Digitalisierung verstärkt, im Zeitalter des Narzissmus leben.
Zeitalter des Narzissmus
Gerade Narzissten sind sehr anfällig für Kränkungen, dies ist ihre Achillesferse, ihr wunder Punkt. Er ist kränkbar in pathologischer Weise. Gerade in der Politik ist es auffällig, dass viele Akteure extrem kränkbar sind. Der Narzisst braucht die Bestätigung seiner Großartigkeit, dies erreicht er leider oft nur durch die Entwertung seiner Mitmenschen. Durch Zynismus und Sarkasmus, damit er in seiner Jämmerlichkeit großartig bleibt. Die Kränkungs-Hypothese geht davon aus, dass große gesellschaftliche Konflikte und auch Weltkriege dadurch ausgelöst wurden.
Unter all diesen Gesichtspunkten ist es wahrscheinlich, dass Putin aufgrund seiner Persönlichkeit und tiefer Kränkungen bzw. seinem Wunsch nach Großartigkeit (der Wiederhersteller des großrussischen Reiches?) diesen militärischen Konflikt in der Ukraine in Kauf genommen hat.
Kränkungen – Ursache für Terror
Kränkungen produzieren Amokläufer und Terroristen. Die Täter fühlen sich ausgeschlossen, nicht zugehörig. Die Werte des Gekränkten wurden verletzt. Die etwa weltweit 300 verübten Schulmassaker haben ihre Ursache überwiegend in Kränkungen.
Für Jugendliche ist leider die Schule der Ort der meisten Kränkung. Beleidigungen und Demütigungen. Diese können als Auslöser für Rache gelten. Auch Mobbing zählt dazu, dies ist nichts anderes als systematische Kränkungen. Die Strategie der tausend kleine Nadelstiche. Dies kann bis zu Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung führen.
Alles ist selbstverständlich
Kein Lob, kein Dank, alles ist selbstverständlich. Der Kränker agiert mit Liebesentzug oder dem Zurückhalten von Wertschätzung. Kränkung treffen uns dort, wo wir sowieso schon verletzt sind und unsere schwachen Stellen haben. Doch letztendlich bleiben Kränkungen unvermeidlich, jedoch es kommt darauf an, wie du damit umgehst. Sie bieten eine Chance, wenn du sie konstruktiv bewältigst. Viele große künstlerische Werke standen aus der Kompensation von Kränkung, z.B. Robert Schumann.
Chance für Wachstum
Kränkung dient der Persönlichkeitsbildung. Sie helfen uns unsere eigenen Schwachstellen zu erkennt zu erkennen und dienen der Menschenkenntnis. Sie dienen der Ausstattung der Gefühlswelt und fördern die Empathie. Sich zu fragen: Wo liegt meine Schmerzgrenze, wo liegt die Grenze meines Gegenübers, ein sehr gutes Training. Allein die Frage” habe ich dich gekränkt“, gib dem angesprochenen die Möglichkeit über seine verletzten Gefühle zu sprechen und hilft so eine Menge Unheil zu vermeiden. Andererseits kannst du dich als gekränkter fragen, kann ich daraus lernen? Perspektivwechsel, loslassen, um zur Gelassenheit zu gelangen. Verzeihen schenkt dir die Möglichkeit, dich von all den negativen Folgen der Kränkung zu befreien.
Gegenspieler der Wertschätzung
Nichtachtung und Missachtung. Etwas was sehr unterschätzt wird ist die demonstrierte Unzufriedenheit, gerade in Partnerschaften ist das ein hervorstechendes Problem. Seine Gekränktheit demonstrativ vor sich her zu tragen. Schweigen, Liebesentzug, Beleidigtsein. Damit wird eine unglaubliche Macht ausgeübt. Das Gegenüber fühlt sich schuldig, wobei dieser oft nicht weiß, was er falsch gemacht hat. Denn Partnerschaft ist leider oft auch ein Machtkampf.
Entwertung, Diffamierung, Beleidigung, Kränkung. Verachtung und die subtilere in Form von Zynismus, Sarkasmus, Ironie. Dies sind oft die Ausdrucksformen der Aggression intellektueller Menschen. Zynismus wirkt bedauerlicherweise oft sehr klug und originell, der sogar ein Schmunzeln entlocken mag. Dennoch darf man nicht vergessen, dass dahinter ein großes Potenzial an Aggressivität liegt. Zynismus beschreibt hundsgemein (griechisch: kynos – der Hund) sein und Sarkasmus meint jemanden zerfleischen.
Schweigen
Der wichtigste Gegenspieler der Wertschätzung ist das Schweigen. Dies kann eine furchtbare Waffe sein. Durch aktives, aggressives Schweigen drücke ich aus: Du bist mir kein Wort mehr wert. Mit dir will ich nicht mehr reden, du bist nicht mehr existent. Und zeigt natürlich auch gleichermaßen, dass dem Gekränkten die Worte fehlen.
Die Pyramide der Wertschätzung
- Aufmerksamkeit und Beachtung
- Toleranz (das Ertragen, dass der andere Werte hat als ich, sie zu schätzen, ohne dass ich sie für mich übernehmen muss)
- Achtsamkeit. Das Nutzen des Hier und Jetzt. Das Leben in der Gegenwart. Wertschätzung soll in diesem Moment stattfinden, nicht irgendwann in der Zukunft.
- Anerkennung. Hier kommt noch die Emotionalität hinzu.
- Wertschätzung. Diese kann man sehr vielen Menschen erweisen.
- Vertrauen. Nähe, Geborgenheit, Sicherheit
- Liebe
Es gibt nur einen Augenblick, der wichtig ist. Heute, hier und jetzt.
Leo Tolstoi
Die Grundregeln der Wertschätzung sind:
Aufmerksam, achtsam, empathisch sein, tolerant und nach Möglichkeit ehrlich miteinander zu sein. Offen, verlässlich, authentisch, Vorbild im Umgang mit Lob und konstruktive Kritik, Autonomie zulassen und fördern. Dankbarkeit, nicht nur digital. Sicherheit und Gelassenheit vermitteln.
Fazit
Weniger werten und mehr wertschätzen. Führt zu Mehrwert für alle. Für Kollegen, Mitschüler, für die Schule und die Schule unseres Lebens.
Allen denen der Artikel gefallen hat, empfehle ich das nachfolgende Video (nur 44 Minuten). Dr. Haller erklärt das sehr witzig und einprägsam.